Martin Homann ist klassischer Musiker. In München studierte er an der Musikhochschule Pauke und Perkussion, ursprünglich mit dem Ziel, Orchestermusiker zu werden. Warum er heute vor allem historische Instrumente spielt und unterrichtet, was man unter „Neuer Musik“ versteht und wieso er der erste Mieter im Dezernat 16 war, erzählt er uns im Interview.
Wann hast Du gemerkt, dass Du lieber als freischaffender Musiker arbeiten als in einem Orchester spielen möchtest?
„Bereits im Studium. Ich habe zu Anfang meines Studiums ein Praktikum bei den Nürnberger Symphonikern gemacht und als Aushilfe in einigen Münchener Orchestern gespielt. Dann habe ich festgestellt, dass ich mir für mein Arbeitsleben etwas anderes vorstelle. Ich verschob daraufhin meinen Studienschwerpunkt und später kristallisierte sich dann das freischaffende Arbeiten als der für mich passendste Weg heraus.“
Und Du hast dann während Deines Studiums bereits angefangen zu unterrichten?
„Ja, aber am Anfang nur wenig. Da ich mich in meinem Studium dann sehr früh auf die Neue Musik spezialisiert und auch in verschiedenen Ensembles gespielt habe, blieb dafür nicht so viel Zeit.
Inzwischen unterrichte ich mehr und es macht mir großen Spaß, vor allem auch der Umgang mit Kindern.“
Was ist „Neue Musik“?
„Anfang des 20. Jahrhunderts begannen klassische Komponisten damit, die Gesetzmäßigkeiten der Harmonie, der Melodik und der Rhythmik über Bord zu werfen, die Grenzen zu erweitern. Mit der Erfindung der Zwölftonmusik sprach man allen Tönen und Klängen die gleiche Wertigkeit zu. Die klassische Musik wurde zu einem riesigen Experimentierfeld für zuvor nie gehörte Klänge und Geräusche. Das führte teilweise zu sehr komplexen Strukturen, die für Musiker und Publikum gleichermaßen sehr anspruchsvoll sind. Und das Schlagzeug befand sich mittendrin.
Nach dem Studium habe ich mit verschiedenen Ensembles für Neue Musik gearbeitet und 2003 mit einigen Kollegen das Kammermusikensemble “ascolta“ gegründet. Wir waren sofort sehr erfolgreich, was bedeutete, dass wir viele Reisen unternahmen, Konzerte gaben und in zum Teil sehr hoher Frequenz neue Projekte umsetzten. Die hohe Beanspruchung, die zeitintensiven Projekte und ein extremes Maß an Organisation ließen mich irgendwann das vermissen, was ich an Musik eigentlich schätze und aus ihr herausziehe. Ich fand, Musik müsse noch mehr sein als ein zweifelsohne hoher Anspruch an ihre Umsetzung. Und ich merkte auch immer mehr, dass ich nicht mehr mit vollem Herzen bei der Sache war. Sicher hatte das auch mit Balance zu tun.“
Hast Du bestimmte andere Projekte vermisst?
„So ist es. Neben der Beschäftigung mit der Zeitgenössischen Musik habe ich zum Beispiel immer auch Barockpauke gespielt. Es gibt eine sehr rege und interessante Musikszene für klassische Musik auf historischen Instrumenten. Je mehr ich mich auf meine Ensembles und Projekte in der Neuen Musik konzentrierte, desto weniger Zeit hatte ich für meine geliebte „Alte Musik“. Als der Spagat zu schwierig wurde, habe ich die Zusammenarbeit mit meinem Ensemble beendet. Und ich hatte das große Glück, sehr schnell in der Alten-Musik-Szene Fuß zu fassen. Darauf habe ich mich in den letzten Jahren konzentriert und bin sehr glücklich damit.“
Was unterscheidet denn die Arbeit in der „Alten Musik“ und der „Neuen Musik“?
„In der Neuen Musik geht es sehr oft darum, nach neuen Ausdrucksmitteln und Klängen zu forschen. Die Alte Musik existiert ja schon, da versucht man eher, den Kern der Aufführungspraxis frei zu legen. Es wird auf den historischen Instrumenten der jeweiligen Zeit gespielt und man versucht, die Originalmanuskripte der Kompositionen als Grundlage zu nehmen und die Gepflogenheiten der jeweiligen Zeit umzusetzen. In der Barockzeit z. B. wurde die Musik viel „sprechender“ gestaltet. Mit den historischen Instrumenten nähern wir uns dem ursprünglichen Klang der Stücke an. Diese Herangehensweise verändert die Musik sehr stark. Heute spiele ich vor allem auf historischen Instrumenten. Allerdings reicht das Repertoire musikgeschichtlich vom Mittelalter bis in die Romantik, da muss man natürlich auch die Instrumente der verschiedenen Epochen besitzen.
Eine Besonderheit meiner neuen Hauptbeschäftigung ist, dass die Pauken und Trompeten nach kirchlichem Brauch in der Passionszeit schweigen. Das ist für mich persönlich eine spannende Zeit, denn das gibt mir die Gelegenheit, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen, die vielleicht zu kurz gekommen sind. In den kommenden Wochen stehen bei mir Marimba und Drum Set im Vordergrund.“
In der Passionszeit schweigen also die Pauken. Was schweigt denn nicht? Gibt es auch nach Fasching Projekte, auf die Du Dich freust?
„Es gibt natürlich Projekte, die nicht in einem sakralen Kontext stehen, z. B. spiele ich eine wirklich tolle Barockoper von Francesco Cavalli an der Staatsoper in München. Außerdem plane ich wieder ein neues Projekt mit einem Schlagzeugtrio. Wir haben eine Anfrage der Stuttgarter Philharmoniker für ein Solokonzert des chinesischen Komponisten Tan Dun. Es soll Anfang nächsten Jahres stattfinden und beschäftigt sich mit unterschiedlichsten Wasserklängen. Solche Projekte haben immer eine lange Vorlaufzeit, denn das Material muss zusammengestellt werden, die Instrumente organisiert, die Stücke arrangiert und geprobt werden.
Jetzt war ich gerade in Wien. Mit dem Klangforum Wien habe ich ein Stück gespielt, das als das erste gilt, das sich nur mit dem Schlagzeug beschäftigt: „Ionisation“ von Edgar Varese von 1929. Ursprünglich für 13 Schlagzeuger geschrieben, hat es ein Freund für acht Schlagzeuger arrangiert und wir spielten es seit langem mal wieder. Ein tolles Stück und ich traf dabei einige meiner besten Freunde.“
Hier im Dezernat 16 gibst Du keine Konzerte, sondern Schlagzeugunterricht. Was ist das Spannende am Unterrichten für Dich?
„Es ist ein anderer Fokus, ich kann eine Entwicklung sehen, einen größeren Bogen. Unterrichten ist für Schüler und Lehrer ein längerer Prozess. Projekte haben dagegen immer etwas Kurzlebiges.
Seit ich vor 14 Jahren nach Heidelberg gekommen bin, unterrichte ich nun schon meine Schüler an den verschiedenen Instrumenten (Vibrafon, Marimbafon, Pauke, kleine Trommel und Drumset). Am Anfang war es jedoch für mich eine große Herausforderung, die richtige Balance zwischen dem Unterrichten und meinen Musikprojekten zu finden.“
Seit wann bist Du im Dezernat 16?
„Seit Dezember 2012. Ich war damals tatsächlich der erste Mieter im Haus! Meine Arbeitsbedingungen waren zu dem Zeitpunkt extrem schlecht. Als ich jemanden traf, der versprach, professionelle Übungsräume zu bauen, kündigte ich meine alten Arbeitsräume. Dann platzte das Projekt, mein Ansprechpartner war weg und ich stand buchstäblich auf der Straße.
Nach einem Telefonat mit der Stadt traf ich mich mit Frank Zumbruch, der damals für die Kreativwirtschaft zuständig war, in der Alten Feuerwache. Das städtische Theater, das die Feuerwache als Übergangsdomizil genutzt hatte, war gerade erst ausgezogen. Frank Zumbruch erklärte, was er mit den Medienräumen vorhat, und fragte mich, ab wann ich etwas bräuchte. Ich sagte: Sofort! und er ermöglichte mir, meine Sachen in den zunächst noch kahlen Räumen unterzustellen. Ein großer Glücksfall. Ich bin seitdem hier und habe die besten Arbeitsbedingungen, die ich je hatte. Sowohl was die Räume betrifft, als auch was gemeinsame Projekte, Kooperationen und gegenseitige Hilfe angeht. Gerade wir Drummer hier in den Medienräumen verstehen uns sehr gut.“
Hast Du einen Tipp für andere Kulturschaffende oder Interessierte?
„Man muss den Mut haben, das zu machen, was einen wirklich interessiert, einem wirklich Spaß macht. Ich weiß natürlich, dass das nicht immer geht, man muss ja auch Geld verdienen. Aber man sollte es zumindest versuchen ….“
Danke für das schöne Gespräch, Martin Homann!