Zeit ist relativ – und das hat nun ausnahmsweise nichts mit Corona zu tun. Wir haben beim Gespräch mit Jochen Steinmetz festgestellt, dass er noch gar nicht so lange im Dezernat#16 ist, wie es sich anfühlt. Erst seit März 2019 ist der Fotograf Mieter, aber schon davor hatte er Verbindungen ins Haus. Was er tut, mit wem er was macht und was er vorhat – darüber haben wir uns mit ihm in der Turnhalle unterhalten.

Jochen Steinmetz hat über 25 Jahre Erfahrung in professioneller Fotografie. Wenn er „Ich bin kein Autodidakt“ auf seiner Homepage schreibt, meint er – und das nur als kurzer Auszug aus seiner Biographie – dass er ausgebildeter Werbefotograf und Mediendesigner ist, Kunstgeschichte und freie Fotografie studiert und international als Assistent und Studioleitung gearbeitet hat.

Nun ist er seit über einem Jahr Teil des D#16 und schätzt die Gemeinschaft und die kurzen Wege. „Für mich ist das Dezernat ein Ort, an dem ich wahninnig gute und vielfältige Möglichkeiten habe.“ Zum einen bietet ihm das Gebäude viele Orte, an denen er gut arbeiten kann. Abgesehen von seinem Büro im ersten Stock nutzt er mit Kjartan Einarsson dessen analoges Fotolabor, mit Julian Beekmann, Dominik Paunetto und Jan Buomann deren Fotostudio und aktuell auch die Turnhalle als Ausstellungsraum. Mit den „kurzen Wegen“ meint Jochen aber auch die Begegnungen, die er im D#16 macht. „Der Austausch ist auf einem hochprofessionellen Level und man befruchtet sich gegenseitig. Hier sind so viele brilliante Köpfe, so viel Tatkraft und Vielfalt vorhanden.“

Vielfältig ist Jochen auch in seiner Arbeit, die sich in vier Bereich aufteilen lässt. Zum einen arbeitet er als angewandter Werbefotograf, wo er von der Konzeption bis zur Umsetzung er Unternehmen betreut. Ein über Monate vorbereiteter, wochenlanger Auftrag, der ihn nach Namibia gebracht hätte, wurde leider wegen Corona abgesagt. Sein zweiter Bereich ist die freie Fotografie, bei der er unterschiedliche Konzepte umsetzt und ausstellt. Wobei er großen Wert darauf legt, dass Kreativität genauso harte Arbeit ist wie bei kommerziellen Aufträgen. „Inspiration is for amateurs“ – auch Künstler brauchen Struktur, Disziplin und Professionalität in ihrem Tun. Seine Werke zeigt er aktuell bei der Gemeinschaftsausstellung ZwanzigZwanzig in der Turnhalle. (HINWEIS AUSSTELLUNG) Jochens drittes Standbein ist die Forschung, bei dem er zurzeit für das Kunsthistorische Institut der Universität Heidelberg über die Fotografie der Klassischen Modern arbeitet. Und viertens: die Lehre. Am Bildungswissenschaftlichen Institut hält er Seminare zu Film- und Fotografie-Theorie. Gemeinsam mit Kjartan Einarsson, durch den er auch das D#16 kennengelernt hat, gibt er Workshops in analoger Fotografie, Mittelformat und Rahmen- und Mappenbau. Diese waren sogar im diesjährigen Programm der Biennale für Fotografie und der OFF/FOTO aufgenommen – und mussten abgesagt werden.

Doch auch wenn vieles durch die Pandemie nicht stattfinden konnte – für Jochen eröffnen sich neue Möglichkeiten. „Ungewohnte Situationen bieten auch ungewohnte Chancen“ fasst er sein aktuelles Tun zusammen. So konnte er gemeinsam mit Magnus Miller, ebenfalls ehemaliger D#16-Mieter und Inhaber von plak’n‘play, dessen lang gereifte Idee der Outdoorgallery realisieren. An zwölf Orten in Heidelberg werden Jochens „Fotografien zur Zeit – Lockdown 2020“ gezeigt – und das in einer beeindruckenden Größe von 3,55 auf 2,55 Metern. Kunst muss unmittelbar zu den Menschen, wenn di eMenschen nicht unmittelbar zur Kunst können. Fotografie kann das“, so Jochen, „und das muss nicht zwingend digital sein.“ Und mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. „Auch der Karlstorbahnhof sowie die Sammlung Prinzhorn nutzen jetzt den öffentlichen Raum – wir haben also aktuell quasi ein Kunstfestival in der Stadt.“ Apropos öffentlicher Raum: Jochen ist auch am Projekt „Maske auf, HD!“ maßgeblich beteiligt und freut sich sehr über die Unterstützung der Stadt und der Uniklinik und die viele positive Resonanz.

Eine neue Erfahrung kam auf Einladung des Heidelberger Kunstvereins zustande: Mit Eyal Pinkas hat er in einem Dialog zur Ausstellung „Yesterday’s News Today“ geführt und die Perspektiven in einem Video geteilt.

Weitere Projekte, wie die Außengestaltung des D#16 und die Wiederaufnahme der Workshops lassen bei Jochen keine Langeweile aufkommen. „Ich hatte in den letzten Wochen genug zu tun und normale Arbeitszeiten“, erzählt er, wenn man ihn fragt, was sich geändert hat. Und ergänzt „Allerdings waren nur vier Tage davon bezahlt.“ Umso mehr freut er sich überspontane Aufträge, wie eine Reportage über Spitzenwinzer und -sommeliers, die es wohl ohne Corona nicht gegeben hätte.